Beschlussvorlage - 2023/0057

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Beschlussvorschlag:
Der Städteregionstag trifft folgende Entscheidungen:

 

1. Er nimmt die Kündigung der Vereinbarung zur Unterhaltung einer Pflegestation für Wildtiere mit Wirkung zum 31.12.2022 seitens der Aachener Tierpark AG gegenüber der Stadt Aachen zur Kenntnis.

2. Das in Abstimmung mit der Stadt Aachen skizzierte Maßnahmenprogramm ist weiterzuverfolgen.

 

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Sach- und Rechtslage:

Die Aachener Tierpark Gemeinnützige AG hat die zwischen ihr und der Stadt Aachen seit 1989 bestehende und 2009 erneuerte Vereinbarung über den Betrieb einer Tierpflegestation mit Schreiben vom 22.06.2022 und Wirkung zum 31.12.2022 gekündigt. § 4 dieser Vereinbarung sieht ein beiderseitiges Kündigungsrecht mit einer Kündigungsfrist von 6 Monaten jeweils zum Jahresende vor.

Kernstück dieser Vereinbarung ist die Unterhaltung einer Pflegestation für heimische Wildvögel und weitere Wildtierarten (insbesondere Igel und Eichhörnchen) auf dem Gelände des Tierparks durch die Aachener Tierpark Gemeinnützige AG. Bislang sind während der Geschäftszeiten kranke, verletzte oder aus anderen Gründen in Not geratene wild lebende Tiere in Pflege genommen und soweit möglich wieder in die Freiheit entlassen worden, die sowohl von Privatpersonen als auch Behördenvertreter_innen (insbesondere durch die Feuerwehr) aufgegriffen worden sind.

 

Als Gegenleistung hat die Stadt Aachen in den zurückliegenden Jahren 90 % der Lohnkosten für die Stationsbetreuung sowie 90 % der Futterkosten und tierärztlichen Behandlungskosten übernommen. Zu diesem Zweck wurden in 2022 insgesamt 30.249,00 € an die Aachener Tierpark Gemeinnützige AG überwiesen. Die Städteregion Aachen hat in der Vergangenheit jährlich 3.000,00 € getragen, da die Tierpflegestation auch von Personen aus dem ehemaligen Kreisgebiet für vermeintlich in Not geratene Tiere aufgesucht werden konnte.

Zunächst konnte noch eine Vertragsverlängerung bis zum 31.03.2023 mit dem Tierpark erreicht werden, die jedoch seitens des Tierparks kurzfristig wieder zurückgenommen wurde.

 

Frequentierung der Tierpflegestation in den zurückliegenden Jahren

In den zurückliegenden Jahren ist die Zahl der in Obhut genommenen Tiere von 336 in 2008 auf 566 in 2019 kontinuierlich angestiegen. Bedingt durch Corona (große Teile der Bevölkerung haben sich wegen fehlender kultureller, sportlicher und anderer Freizeitangebote vermehrt in der freien Natur aufgehalten) war in 2020 und 2021  ein nochmaliger deutlicher Anstieg zu verzeichnen (2020: 839 Tiere, 2021: 751). In 2022 ist die Zahl der Tiere auf 549 gesunken. Auch die Zahl der aufgenommenen Tiere aus dem ehemaligen Kreisgebiet der Städteregion hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Der prozentuale Anteil lag in den Jahren zwischen 2008 und 2017 überwiegend bei etwa 15 Prozent, 2018 stieg deren Anteil auf 28 Prozent und 2019 sogar auf 46 Prozent (2020: 44 Prozent, 2021: 35 Prozent, 2022: 40 Prozent). In Bezug auf die Anzahl der Pflegetage wurde die Station in den beiden „Corona-Jahren“ zu 50 Prozent (2020) bzw. 48 Prozent (2021) und 36 Prozent (2022) für Tiere aus dem ehemaligen Kreisgebiet in Anspruch genommen.

 

Im Jahr 2021 konnten von 231 aufgenommenen Säugetieren (darunter 180 Igel und 36 Eichhörnchen) bei einem Aufwand von 1.788 Pflegetagen (Summe der Tage, die jedes einzelne Tier bis zu seinem Ableben oder der erfolgreichen Auswilderung in der Station gepflegt wurde) lediglich 56 (39 Igel und 14 Eichhörnchen) bzw. 24,2 Prozent nach erfolgreicher Pflege wieder ausgewildert werden. In 2022 wurden insgesamt 113 Säugetiere (darunter 76 Igel und 30 Eichhörnchen) für 1041 Pflegetage aufgenommen. Es konnten lediglich 16 Igel und 5 Eichhörnchen (19,8 Prozent) in Freiheit entlassen werden.

 

Von 436 aufgenommenengeln in 2022 (ca. 60 verschiedene Arten, vor allem Amseln mit 64-, Tauben mit 54 und Rabenkrähen mit 26 Tieren) mit insgesamt 1.422 Pflegetagen konnten immerhin 156 bzw. 35,8 Prozent wieder in Freiheit entlassen werden.

Vorliegende Gründe für die Kündigung der Vereinbarung

Die EU-Verordnung 2016/429 vom 9. März 2016 zu Tierseuchen und zur Änderung einiger Rechtsakte im Bereich der Tiergesundheit („Tiergesundheitsrecht“), die zum 21. April 2021 in Kraft getreten ist, regelt eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Tierseuchen. Die Verordnung trägt den gestiegenen Risiken aufgrund von Veränderungen der Handelsströme, der Umwelt, des Klimas, der Tierzucht und landwirtschaftlichen Praxis sowie gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung.

Anhand dieser neuen Verordnung wurde deutlich, dass die vorhandene Tierpflegestation in Bezug auf die Verhütung von Seuchen nicht den neuen gesetzlichen Anforderungen entspricht. Insbesondere fehlt eine Quarantänestation, um der Gefahr einer Einschleppung von Seuchen durch erkrankte Wildtiere vorzubeugen. Sollte auf diesem Wege eine Seuche in den Tierpark eingeschleppt werden, wäre dies mit gravierenden Auswirkungen für den eigenen Tierbestand verbunden. Die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest oder der Vogelgrippe verdeutlicht, dass ein derartiges Risiko nicht nur theoretisch, sondern auch real existiert.

 

Aus kapazitäts- und organisatorischen Gründen ist eine strikte Trennung des Tierpflegepersonals in die Bereiche Tierpark und Tierpflegestation nicht möglich. Der dauerhafte Einsatz des Personals in beiden Bereichen verstärkt das Risiko der Übertragung von Krankheiten und Seuchen von Wildtieren auf den eigenen Tierbestand.

 

Die Fortführung der Tierpflegestation wäre darüber hinaus mit einer erheblichen Erweiterung der Dokumentationspflichten verbunden (z.B. Erfassung besonderer Merkmale, Gewicht und körperliche Verfassung bei Aufnahme und Auswilderung, umfangreiche Diagnostik und Medikation, Pflegeverlauf, Begründung besonderer Eingriffe wie Zwangsfütterung, Todesursache). Der Arbeitsaufwand für das vorhandene Tierpflegepersonal würde hierdurch deutlich erhöht.

 

Unter diesen Voraussetzungen wäre der Fortbestand einer Tierpflegestation für Wildtiere mit erheblichen baulichen Maßnahmen (die auf dem begrenzten Gelände des Aachener Tierparks aller Voraussicht nach nicht zu realisieren sein werden) und einer wesentlichen Aufstockung des bisherigen Personaleinsatzes verbunden.

 

Artenschutzrechtliche Grundlagen

Gemäß § 44 Absatz 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz ist es u.a. verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten (hierzu zählen alle heimischen Vogel- und nahezu sämtliche heimische Säugetierarten) nachzustellen oder sie zu fangen.

 

Abweichend von diesen Verboten ist es gemäß § 45 Absatz 5 Bundesnaturschutzgesetz vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften zulässig, verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Die Tiere sind unverzüglich freizulassen, sobald sie sich selbständig erhalten können. Im Übrigen sind sie und die von der für Naturschutz und Landespflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben. Seit Gründung der Städteregion Aachen liegt die Kontrolle und Überwachung der gesetzlichen Rahmenbedingungen bei der Haltung und Pflege von Wildtierarten auch für das Gebiet der Stadt Aachen beim Veterinäramt der Städteregion und den beiden unteren Naturschutzbehörden von Städteregion und Stadt Aachen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet.

 

Eine gesetzliche Verpflichtung zur Unterhaltung einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Pflegestation für Wildtiere besteht jedoch nicht. In der Regel werden derartige Stationen von ehrenamtlichen Trägern (insbesondere Tierschutzvereineen) und privaten Initiativen betrieben. So sind neben der bisherigen Station im Aachener Tierpark in der Stadt Aachen bzw. Städteregion Aachen seit vielen Jahren auch eine ganze Reihe ehrenamtlicher Institutionen und Helfer_innen aktiv, um in Not geratene Wildtiere zu pflegen.

 

Weitere Vorgehensweise aus Sicht der Verwaltung

Seit mehr als 30 Jahren und insbesondere in den „Corona-Jahren“ war die Pflegestation für Wildtiere im Aachener Tierpark eine wichtige Anlaufstelle für Bürger_innen aus der gesamten Städteregion, um kranke und offenkundig in Not geratene Wildtiere in Pflege zu geben.

 

Die Gründe der Aachener Tierpark Gemeinnützige AG, die Station nicht weiter fortzuführen, sind jedoch plausibel und nachvollziehbar. Der Tierpark ist eine wertvolle Institution innerhalb der Stadt Aachen und Städteregion Aachen, um der Bevölkerung und insbesondere Kindern die Vielgestaltigkeit unserer natürlichen Tierwelt und deren Wertigkeit zu vermitteln. Es liegt insofern nicht im Interesse der Stadt Aachen und der Städteregion Aachen, dass der Tierpark durch eine Fortführung der Tierpflegestation unter den bisherigen Rahmenbedingungen (die ohnehin nicht mehr allen Anforderungen der genannten neuen EU-Verordnung entsprechen) ein unkalkulierbares Risiko für seinen eigenen wertvollen Tierbestand eingeht.

 

Auch wenn es sich bei nahezu allen Wildtieren, die in den vergangenen Jahren in der Tierpflegestation behandelt und gepflegt wurden laut Bundesartenschutzverordnung um besonders geschützte Arten handelt, sind bspw. Igel, Eichhörnchen, Amseln, Elstern, Krähen, Tauben, Enten und Meisen sogenannte „Allerweltsarten“; sie sind weit verbreitet und gelten als ungefährdet.

 

Ferner ist davon auszugehen, dass nur ein ausgesprochen geringer Prozentsatz in Not geratener Wildtiere in menschliche Obhut gelangt. Die meisten Tierschicksale finden in freier Natur abseits menschlicher Beobachtung statt.

 

Der Beitrag der Tierpflegestation für den Natur- und Artenschutz bzw. den Erhalt lokaler Populationen ist deshalb aus Sicht der Verwaltung als gering einzustufen.

 

Hinzu kommt, dass oftmals nur scheinbar verlassene Jungtiere von Tierliebhaber_innen in Obhut genommen und an der Station zur weiteren Pflege abgegeben werden. Bei vielen Arten bleiben die Jungtiere während der Futtersuche allein zurück, werden aber weiterhin von ihren Eltern versorgt. So verlassen bei vielen Vogelarten die Jungvögel bereits das Nest (z.B. Amseln), obwohl sie noch nicht fliegen können. Dies ist Teil ihres natürlichen Verhaltens, weil hierdurch das Risiko vermindert wird, dass alle Jungvögel gleichzeitig von einem Fressfeind erbeutet werden. Erst durch die menschliche Inobhutnahme geraten diese Jungtiere in eine für sie lebensbedrohliche Situation.

 

Naturschutzfachliche Aspekte spielen deshalb bei der Inobhutnahme und Pflege offenbar in Not geratener Wildtiere eine untergeordnete Rolle. Auslöser ist vielmehr ein in der Bevölkerung weit verbreiteter Tierwohlgedanke und ethisch/moralische Vorstellungen. Um dem Wunsch vieler Mitbürger_innen, Wildtieren in Not zu helfen, Rechnung zu tragen und einen adäquaten Ersatz für den Wegfall der Tierpflegestation im Aachener Tierpark zu schaffen, schlägt die Verwaltung folgende konkreten Maßnahmen vor:

 

1. Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit

Durch sachbezogene Presseinformationen und andere Medien (insbesondere einen optimierten online-Auftritt etc.) soll die Bevölkerung umfassender als bisher darüber aufgeklärt werden, wann sich ein Tier tatsächlich in einer Notlage befindet, die ein menschliches Eingreifen rechtfertigt. Insbesondere für viele Jungtiere ist ein Verbleib in der Natur die bessere Alternative.

  1. Angestrebte Kooperation mit dem Kreis Düren zur Unterhaltung einer Wildtier-Hotline

Der Kreis Düren hat im April des vergangenen Jahres eine zentrale Wildtierhotline eingerichtet. Personell besetzt ist die Hotline mit ausgebildeten Tierpfleger_innen des Tierschutzvereins für den Kreis Düren e. V. und des Brückenkopfzoos in Jülich. Im Bedarfsfall erfolgt über die Hotline eine Vermittlung der Tiere zu geeigneten ehrenamtlichen Pflegestellen.

 

Die Verwaltung beabsichtigt, mit dem Kreis Düren Möglichkeiten einer dauerhaften Kooperation zu prüfen. Grundsätzlich sieht der Kreis Düren im Themenfeld Wildtierfunde Möglichkeiten der künftigen Zusammenarbeit, diesbezügliche Abstimmungsgespräche stehen in Kürze an.

 

Sollte es nicht zum Abschluss einer entsprechenden Kooperationsvereinbarung kommen, wäre aus Sicht der Verwaltung die Einrichtung einer eigenen Hotline für Städteregion und Stadt Aachen zu prüfen.

 

3. Unterstützung ehrenamtlicher Pflegestellen

Die durch den Wegfall der Tierpflegestation im Aachener Tierpark frei werdenden Haushaltsmittel können aus Sicht der Verwaltung in Zukunft - neben der Unterhaltung einer Wildtier-Hotline - auch zur finanziellen Unterstützung ehrenamtlicher Pflegestellen in der Stadt und Städteregion Aachen eingesetzt werden. Die Vergabe öffentlicher Mittel an derartige Stellen ist an die Voraussetzung gebunden, dass die Haltung pflegebedürftiger Wildtiere den gesetzlichen Anforderungen des Arten- und Tierschutzes Rechnung trägt.

 

  1. Kooperation mit Land NRW und Kreis Düren bzgl. Bau und Unterhaltung einer öffentlich getragenen Tierpflegestation

Aufgrund der beschriebenen Sachlage und den gesetzlichen Anforderungen an eine derartige Institution stehen der Bau und die erforderliche personelle Ausstattung einer solitären neuen Tierpflegestation für Stadt Aachen und Städteregion Aachen aus Sicht der Verwaltung in keinem vertretbaren Verhältnis zu den eher geringen positiven Auswirkungen für den Natur- und Artenschutz.

 

Nach Informationen des Kreises Düren strebt das Land NRW gegenwärtig die Einrichtung regionaler Auffangstationen für bestimmte Tierarten an. Für die Einrichtung einer derartigen Institution hat der Kreis Düren bereits investive Mittel eingestellt und ist gegenwärtig auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück.

 

Bei einer für Stadt Aachen und Städteregion geeigneten Standortwahl wäre aus Sicht der Verwaltung eine Beteiligung im Zuge einer Kooperation mit dem Kreis Düren und dem Land NRW zu prüfen, da sich Städteregion und Stadt Aachen nicht alleine auf ehrenamtliche Tierpfleger stützen können und auch in Zukunft eine dem Aachener Tierpark vergleichbare, fachlich qualifizierte Institution benötigt wird.

 

Dieses Ziel wird aber aufgrund der erforderlichen Vereinbarungen mit dem Land NRW und aufwändigen Planung einer derartigen Station erst mittelfristig erreichbar sein.

 

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Personelle Auswirkungen:

Die konzeptionelle Bearbeitung und die Verhandlung mit dem Kreis Düren erfolgen mit vorhandenem Personal.

 


Finanzielle/bilanzielle Auswirkungen:

Der bisher geleistete Zuschuss in Höhe von jährlich 3.000,00 € erfolgte vom Sachkonto 543999 „Kosten für die Unterbringung und Pflege von Fundtieren“, Produkt 13.04.01 „Landschaftsentwicklung und Artenschutz“.

Aufgrund der aufgezeigten Statistik der aufgenommenen Tiere ist für die StädteRegion Aachen zukünftig von einem höheren Anteil der Kosten auszugehen, der zur Zeit noch nicht genauer beziffert werden kann. Auch die mögliche finanzielle Unterstützung qualifizierter privater Pflegestellen wird im weiteren Verfahren geprüft.

Perspektivisch ist im Rahmen einer möglichen Kooperation mit dem Kreis Düren auch die Beteiligung an einer von öffentlicher Hand geführten Auffangstation zu prüfen.

Im Auftrag:

gez.: Lo Cicero-Marenberg

 

 

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