Mitteilungsvorlage - 2023/0025
Grunddaten
- Betreff:
-
Katastrophenschutz - Sachstand der kommunikationswissenschaftlichen Begleitung des Sirenenausbaus, Vorstellung der Untersuchungsergebnisse
- Status:
- öffentlich (Vorlage freigegeben)
- Vorlageart:
- Mitteilungsvorlage
- Federführend:
- A 38 - Amt für Brandschutz, Rettungsdienst und Bevölkerungsschutz
- Antragstellend:
- Siehoff, Stefan
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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Erledigt
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Ausschuss für Rettungswesen und Bevölkerungsschutz
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Kenntnisnahme
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09.03.2023
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Sachlage:
Um sicherzustellen, dass zukünftige Sirenenwarnungen von der Bevölkerung richtig aufgenommen und interpretiert werden können, wurde die Akademie der Katastrophenforschungsstelle der Freien Universität Berlin (AKFS) beauftragt, den Ausbau des Sirenennetzes kommunikationswissenschaftlich zu begleiten. Herr Prof. Dr. Henning Goersch führte als Unterauftragnehmer Befragungen der Bevölkerung durch.
Im Rahmen dieser Studie wurden im 2. Quartal 2022 zwei Untersuchungen durchgeführt und mittels Presse und in sozialen Medien begleitet, so dass befragte Personen sowie ggf. durch Pressebegleitung neugierig gewordene Personen sich über das Projekt informieren konnten. Die Daten beider Untersuchungen liegen nun vor (siehe Anlage).
Auf Basis des Anforderungsprofils, der Expert*inneninterviews sowie der Kommunikationsanforderungen aus der Bevölkerungsbefragung werden nun ein Kommunikationskonzept sowie verschiedene Kommunikationsformate entwickelt. Das Kommunikationskonzept ist als Strategie zur Kommunikation mit einer Öffentlichkeit zu verstehen, deren verschiedenster Anforderungen Rechnung zu tragen ist. Es thematisiert
- wichtige sich aus der Forschung ergebende Kommunikationsinhalte sowie
- gewünschte und/oder bereits etablierte Kommunikationsformate bezogen auf die zentralen Themenfelder (a) Sirenensignale, (b) dezentrale Anlaufstellen (Katastrophenschutzleuchttürme), (c) Ehrenamt und (d) Vorsorge.
Der Studie liegt das Szenario langanhaltender Stromausfall (mehr als drei Stunden) zugrunde. Die Antworten der Befragung zeigen, dass der Stromausfall von weit mehr als der Hälfte der Befragten als (sehr) bedrohlich wahrgenommen wird (siehe S. 7 der Anlage).
Die wichtigsten Ergebnisse der quantitativen Bevölkerungsbefragung sind in der Folge nach Themenfeldern dargestellt und daraus abgeleitete Anforderungen für die Kommunikation benannt:
(a) Sirenensignale
• Der gegenwärtige Warnmix entspricht in der Breite dem Warnmittelbedürfnis der Bevölkerung (siehe S. 35-38 der Anlage).
• Die Kenntnis der Sirenensignale zeigt sich in der Befragung besser als erwartet (S. 39 der Anlage), auch geben die meisten Befragten an, nach einer Sirenenwarnung zunächst weitere Informationen in den Medien zu suchen (S. 41 der Anlage).
• Stromversorgungsunabhängige Empfangsgeräte für den Empfang von weiteren Hinweisen in den Medien können jedoch nicht vorausgesetzt werden (S. 26 der Anlage).
(b) Dezentrale Anlaufstellen
• Bereits in den Expert*inneninterviews zeigten sich deutliche Diskrepanzen in der Wahrnehmung des Leistungsspektrums der dezentralen Anlaufstellen. Die Bevölkerungsbefragung zeigt, dass die Erwartungen weit über das tatsächliche Leistungsspektrum hinausgehen (S. 43-47 der Anlage).
(c) Ehrenamt
• Beim Ehrenamt im Katastrophenschutz zeigt sich, dass v. a. eine bestimmte Wertorientierung (Gemeinschaft, „Gutes tun“), aber auch eine gegenwärtige Aufbruchsstimmung zentral sind (S. 50). Als negativ werden mangelnde Ausstattung, fehlende Wertschätzung und Bürokratie wahrgenommen (S. 51 der Anlage).
(d) Vorsorge
• Es besteht die z. T. unrealistische Erwartung, dass der Strom innerhalb von 24 Stunden durch staatliche Einrichtungen wiederhergestellt wird (ca. 29% Forsa, S. 12 der Anlage) und dass Rettungsdienste und lokale Gefahrenabwehr weiterhin problemlos funktionieren (über 50% Forsa, S. 14 der Anlage).
• Die Bevorratung mit Lebensmitteln für eine Woche auf Seiten der Bevölkerung ist mit 76% (Forsa, S. 19 der Anlage) höher als erwartet; für die Trinkwasserbevorratung ist dieser Anteil deutlich geringer (ca. 50% Forsa, S. 21 der Anlage). Bei den Gründen, die für oder gegen eine Bevorratung sprechen, werden Platzmangel, organisatorischer Aufwand, Informationsdefizite und Kosten (S. 23-24 der Anlage) genannt.
• Stromversorgungsunabhängige Empfangsgeräte sind bei weniger als 38% (Forsa) der Befragten verfügbar (S. 26 der Anlage).
• Kenntnisse in Erster Hilfe und zur Bekämpfung eines Entstehungsbrandes sind besser als erwartet ausgeprägt (S. 27-28 der Anlage).
• Insgesamt ist die Wahrnehmung der Eigenverantwortung der Bürger*innen höher als erwartet (S. 9-10 & 17 der Anlage).
• Die finanziellen Möglichkeiten zur Vorsorge sind unterschiedlich ausgeprägt.
• Weder die soziodemographischen Faktoren Alter, Geschlecht, Einkommen oder Bildung noch Vorerfahrungen mit Krisen/Katastrophen oder Engagement im Katastrophenschutz haben einen signifikanten Einfluss auf die Ausprägungen der genannten Themenfelder.
Für das zu erarbeitende Kommunikationskonzept ergeben sich hieraus eine Vielzahl von abzuleitenden Maßnahmen, die die StädteRegion Aachen in der Folge bedenken sollte. Das Konzept wird grundsätzlich davon ausgehen, dass das Szenario Stromausfall nur gemeinsam von allen Akteursgruppen bewältigt werden kann. Hierzu sind die Fähigkeiten, aber auch die Grenzen des Katastrophenschutzes in dem Szenario ebenso transparent zu kommunizieren wie die Erwartungen an die Bevölkerung in Sachen Eigenverantwortlichkeit, Vorsorge und Kenntnisse. Da die Vorsorge und notwendigen Kenntnisse in der Breite der Bevölkerung gegenwärtig noch nicht das Niveau erreicht haben, das wünschenswert wäre (siehe Befragung), ist die Bevölkerung vermittels einer geeigneten Ansprache sowie hilfreichen Informationen entsprechend zu befähigen:
Zu 1) Ausgewählte Kommunikationsinhalte
• Leistungsfähigkeiten und Grenzen des Katastrophenschutzes und der lokalen Gefahrenabwehr im genannten Szenario (Wiederherstellung der Stromversorgung, Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes)
• Sensibilisierung für weitere Bevorratung von Lebensmitteln und vor allem Trinkwasser, Kommunikation auch skalierbarer Vorsorgemaßnahmen (platz- und kostensparend, Vorsorge für wenige Tage besser als gar keine Vorsorge etc.), ggf. auch eine Differenzierung nach dem Umfang einer möglichen Vorsorge, Vorkenntnissen mit Bezug zum Szenario sowie finanziellen und räumlichen Möglichkeiten
• Sensibilisierung für die Notwendigkeit stromversorgungsunabhängiger Empfangsgeräte,
• Auffrischung von Erste-Hilfe-Kenntnissen und Kenntnissen zur Entstehungsbrandbekämpfung
• Fortgesetzte Sensibilisierung für Sirenensignale und Handlungen nach Warnungen
• Leistungsfähigkeiten und -grenzen der dezentralen Anlaufstellen, Etablierung logistischer und fähigkeitsbasierter Verzahnung mit geplanten Betreuungseinrichtungen und Einplanung spontaner Hilfsangebote
• Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements im Katastrophenschutz und Möglichkeiten der Mitwirkung.
Zu 2) Kommunikationsformate
• Die Befragten wünschen einerseits internetbasierte Kommunikationsformate (einschl. Social Media) und andererseits Broschüren. Andere Formate haben lediglich eine sehr geringe Nachfrage (S. 30-33). Entsprechend scheint ein Fokus auf internetbasierte Kommunikationsformate sowie städteregionsspezifische Broschüren sinnvoll.
• Ansprechende, ggf. interaktive Onlineinhalte als auch Broschüren als Postwurfsendungen benötigen ein entsprechendes Budget für die Umsetzung. Onlinebroschüren könnten zwar deutlich kostengünstiger erstellt werden, es ist jedoch davon auszugehen, dass diese in Wahrnehmung und Wirkung sehr begrenzt bleiben.
• Alternative Kommunikationsformate für marginalisierte Gruppen sind sinnvoll, um zu ermitteln, inwieweit diese mit den Kommunikationsformaten für die Breite der Bevölkerung erreicht werden und um ggf. gezielt die Resilienz dieser vulnerablen Gruppen zu erhöhen. Die Sozialraumanalysen der StädteRegion Aachen (Sozialmonitoring 2022) bieten dafür eine sehr gute Grundlage, auf der auch in der empirischen Analyse und im Austausch mit entsprechenden Akteuren (z. B. Integrationsbeauftragte, Sozial- und Wohlfahrtspflege) aufgebaut werden sollte.
• Langfristig scheint eine Verankerung von Katastrophenschutz- und Vorsorgethemen in der schulischen Bildung sinnvoll.
Weitere ausgewählte Handlungsempfehlungen umfassen:
Ehrenamt im Katastrophenschutz
• Es wäre sinnvoll, systematisch zu prüfen, ob alle im Katastrophenschutz tätigen Organisationen bzw. die Einsatzeinheiten ausreichend nicht nur im Sinne der Funktionsfähigkeit, sondern auch mit Blick auf die Zufriedenheit der Ehrenamtlichen finanziert sind und wie stark Ehrenamtliche gegenwärtig durch Verwaltungstätigkeiten belastet sind.
Warnung durch Lautsprecherwagen
• Die Warnung per Lautsprecherwagen ist durch geeignete Konzepte zu hinterlegen. Diese fehlen nach Aussagen von Expert*innen gegenwärtig.
• Integration Unternehmen und KRITIS (z. B. Wasserversorgung, Lebensmittelversorgung, Verkehr, Banken und Versicherungen)
• Nicht im Fokus der Studie liegen bislang Unternehmen bzw. Akteure der kritischen Infrastrukturen.
• Die Behandlung der Gasmangellage in den vergangenen Monaten zeigte jedoch ein erhöhtes Informationsbedürfnis und Unsicherheit auch dieser Akteure in Bezug auf ihre eigene Handlungsfähigkeit.
Die Verwaltung wird in der nächsten Sitzung des Ausschusses für Rettungswesen und Bevölkerungsschutz im Mai die haushalterischen Implikationen der o. a. Empfehlungen darstellen und zur Entscheidung vorlegen.
Das Kommunikationskonzept wird voraussichtlich bis zur dritten Sitzung des Ausschusses im Jahr 2023 (September) vorliegen.
Anlagen
Nr. | Name | Original | Status | Größe |
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1
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(wie Dokument)
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997,1 kB
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