Mitteilungsvorlage - 2024/0226

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Beratungsfolge

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Sachlage

Am 03.04.2024 hat Innenminister Herbert Reul die Polizeiliche Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2023 der Öffentlichkeit vorgestellt. Als besonders auffällig wurde darin der Anstieg der minderjährigen Tatverdächtigen bezeichnet. Laut Pressekonferenz der Aachener Polizei, ebenfalls vom 03.04.2024, ist der Anteil der Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden an den ermittelten Tatverdächtigen auch in unserer Region gestiegen. Im Jahr 2023 wurden demnach 711 Kinder (2022: 628), 2.033 Jugendliche (2022: 1.904) und 1.723 Heranwachsende (2022: 1.556) als Tatverdächtige im Zuständigkeitsbereich der Kreispolizeibehörde Aachen ermittelt.

 

Die Verwaltung nimmt dies zum Anlass, aus Sicht der Jugendhilfe über die Entwicklung von Gewalt- und Straftaten junger Menschen, über Gewalt in der Familie und sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige zu berichten, sowie einen Überblick über Prävention, Beratung und Hilfsangebote seitens des Amtes für Kinder, Jugend und Familie zu geben. Aus dem Auftrag der Jugendhilfe mit ihrem besonderen Blick auf die jungen Menschen und die Familien ergibt sich, dass der Fokus dieses Sachstandsberichtes ein anderer ist als der der Kriminalstatistik, sodass nur bedingt direkte Bezüge zwischen beiden hergestellt werden können.

 

Die Beratungen, Präventionsmaßnahmen und Interventionen des Amtes für Kinder, Jugend und Familie sind immer auch in Zusammenhang mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zu sehen; die pädagogischen Fachkräfte greifen diese auf, gehen darauf ein und entwickeln passende Angebote und Instrumente zur Unterstützung und ggf. Gegensteuerung.

 

Im Folgenden werden die Entwicklungen hauptsächlich in den Tätigkeitsbereichen der Jugendhilfe im Strafverfahren, des Allgemeinen Sozialen Dienstes im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt, sowie der spezialisierten Beratung bei sexueller Gewalt näher erläutert.

 

1. Die Fachkräfte der Jugendhilfe im Strafverfahren (JuHis) haben den direktesten und engsten Kontakt zu straffällig gewordenen jungen Menschen. Sie beobachten insbesondere, dass die Brutalität der durch Jugendliche verübten Gewalttaten zugenommen hat. Es kommt zum unüberlegteren und leichtfertigeren Einsatz von Waffen und als Waffe einsetzbarer Gegenstände wie z.B. Messern und somit häufiger zu Anklagen wegen gefährlicher Körperverletzung und in Ausnahmefällen wegen versuchten Totschlags. Offenbar ist die Hemmschwelle gegenüber dem Waffengebrauch gesunken. Die jungen Menschen scheinen nicht mehr einschätzen zu können, welche juristischen Folgen der Einsatz von als Waffen genutzter Werkzeuge nach sich ziehen kann.

 

Das frühzeitige Einwirken der JuHis auf die jungen Straffälligen mit pädagogischen und erzieherischen Maßnahmen (Drogeninformationsseminar, Eigentumsinformationsseminar, Seminare zu Deeskalation, zum Umgang mit Geld, Konflikttraining, soziale Trainingskurse etc.) scheitert manchmal an einer verzögerten Bearbeitung durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte, aufgrund deren eigener enger personeller Situation. Dies führt wiederum häufig zur Wiederholung der Straftat, da sie zunächst folgenlos zu bleiben scheint. Für die_den Straffällige_n entsteht der Eindruck der Bagatellisierung.

 

Seit 2023 haben die Haftbefehle/-entscheidungen zugenommen. Aufgrund von Verdunkelungs- und/oder Wiederholungsgefahr befinden sich mehr Heranwachsende in U-Haft, die eine einschneidende Erfahrung in ihrem oft noch sehr jungen Leben bedeutet.

 

Die JuHis beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Das soziale Umfeld eines jungen Menschen hat einen großen Einfluss auf seine Identitätsbildung und auf das Erlernen von Verhaltensweisen, sodass es gilt, negative Prägungen durch einen Gefängnisaufenthalt zu verhindern. Im Sinne des Jugendschutzes ist vielmehr die Unterbringung in speziell konzipierten, stationären Jugendhilfeeinrichtungen mit einer engmaschigen Kontrolle und pädagogischen Arbeit sinnvoll. Leider stehen hierfür nur in unzureichender Zahl Plätze zur Verfügung.

 

In den Corona-Jahren waren vermehrt Straftaten im Zusammenhang mit Sozialen Medien zu verzeichnen, da soziale Interaktion in dieser Zeit meist nur innerhalb digitaler Netzwerke stattfand. Mit dem speziellen Training „Legal Digital“ zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Nutzungsverhalten steuert die JuHis dieser Entwicklung entgegen.

 

Insgesamt hatte die JuHis im Jahr 2023 298 Fälle zu bearbeiten (2022: 210). Dieser Trend scheint sich fortzusetzen; von Januar bis März 2024 waren es bereits 77 Fälle. Von den 298 Fällen kam es bei 93 Jugendlichen zur Anklage (2022: 82), für 52 Jugendliche wurde ein Diversionsverfahren (Einstellung des Strafverfahrens unter bestimmten Bedingungen, z. B. Wiedergutmachung, Therapie, Geldbuße) durchgeführt (2022: 55) und 125 Fälle wurden eingestellt (2022: 72). Von Seiten der Polizei erfolgten 2023 20 Meldungen über straffällig gewordene Jugendliche, in 2022 war dies keinmal der Fall.

 

2. Der Tatbestand der häuslichen Gewalt wird in der Kriminalitätsstatistik innerhalb der Zahlen zur Gewaltkriminalität erfasst. Den größten Anteil nehmen hier die gefährliche und die einfache Körperverletzung ein. Für die Kreispolizeibehörde Aachen wurde bei den gefährlichen und schweren Körperverletzungen (1.264 Fälle) ein Anstieg um 16 Fälle gegenüber dem Vorjahr gezählt. Bei den einfachen Körperverletzungen stiegen die Zahlen um 225 Fälle auf 3.551, das ist ein Anstieg um 5,6%.

 

Die Intervention bei häuslicher Gewalt zur Sicherstellung des Kinderschutzes wird im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) bearbeitet. Die gestiegene Gewaltbereit-schaft spiegelt sich auch hier in den Meldeanlässen wider. So gab es im Jahr 2023 im Bereich der Jugendamtskommunen Baesweiler, Monschau, Roetgen und Simmerath insgesamt 75 Meldungen wegen des Verdachts auf Kindeswohlgefährdung aufgrund häuslicher Gewalt, die innerfamiliär, z. B. zwischen Eltern/Erziehungspersonen ausgeübt wird. In allen diesen Fällen sind immer auch die Kinder als Augen- und Ohrenzeugen betroffen und damit einer massiven seelischen und ggf. körperlichen Gefährdung ausgesetzt. Bei 46 weiteren Meldungen handelte es sich um den Verdacht auf körperliche Misshandlungen, bei denen die Kinder selbst die Opfer waren.

 

Das Präventions-Netzwerk „Im Blick“ hat in diesem Jahr zum Tag der gewaltfreien Erziehung am 30. April die präventive Öffentlichkeitskampagne #UNSCHLAGBAR gestartet. Mit dieser Kampagne wird auf die schwerwiegenden Folgen für die kindliche Entwicklung durch das Miterleben von Gewalt in Partnerschaft und Familie aufmerksam gemacht, da diese Folgen vielen Eltern und Erwachsenen oft nicht bewusst sind. Sie gehen davon aus, dass ein anwesendes Kind von einem körperlich ausgetragenen elterlichen Streit nicht betroffen ist, solange es selbst nicht geschlagen bzw. anderweitig misshandelt wird.

 

Die Verwaltung möchte in diesem Zusammenhang darüber hinaus erneut alle Bürgerinnen und Bürger für die Thematik sensibilisieren sowie sie ermutigen, hinzuschauen, hinzuhören und sich nicht zu scheuen, in einem Verdachtsfalle das Jugendamt oder andere geeignete Institutionen zu kontaktieren. Zudem soll die Öffentlichkeit auf bestehende Hilfsangebote hingewiesen werden. Ein aufmerksames, soziales Umfeld kann für ein betroffenes Kind den Weg in Sicherheit und Hilfe bedeuten.

 

3. Die polizeilichen Zahlen zum sexuellen Missbrauch von Kindern sind im Vergleich zum Jahr 2022 mit 103 Fällen gleichgeblieben. Hierbei geht es um die tatsächlich zur Anzeige gebrachten Fälle, die Rede ist vom sogenannten Hellfeld. Demgegenüber stehen die Zahlen des Dunkelfeldes. Dahinter verbergen sich alle Fälle, die ohne Anzeige z.B. in den spezialisierten Fachberatungsstellen angemeldet werden sowie die Fälle, die gar nicht offenbar werden.

 

Nur über diejenigen Fälle des Dunkelfeldes, die in den Fachberatungsstellen an-kommen, lässt sich eine Aussage treffen. Im Jahr 2023 hatte die Zahl der Einzelfallberatungen in den Beratungsstellen städteregionsweit mit 110 Fällen den höchsten Stand der letzten fünf Jahre. Hinzu kommen 80 Einzelfallberatungen in der Fachberatungsstelle des freien Trägers der Caritas (VFC).

 

Diese Entwicklung ist u.a. auf die ausgeweitete Sensibilisierung von Erwachsenen, der Präventionsprojekte im Elementar-, Primar- und Sekundarbereich sowie der Qualifizierung von Fachkräften zurückzuführen. Sexuell übergriffiges Verhalten wird deutlich früher wahrgenommen, Kinder und Jugendliche trauen wesentlich häufiger ihrem Gefühl und vertrauen sich Erwachsenen an. So können Hilfsangebote früher ansetzen und Betroffene unterstützen.

 

An dieser Stelle soll noch einmal auf die Kooperationsvereinbarung zwischen der Polizei Aachen und allen Jugendämtern in der Städteregion verwiesen werden, die im Juni 2023 von der Leitung der Direktion Kriminalität Aachen und allen Jugendämtern unterschrieben wurde. In allen Bereichen - jugendliche Straftäter_innen, sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen oder Intervention bei häuslicher Gewalt - gibt es eine vorbildliche Zusammenarbeit zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Hospitationen von Polizeikräften in den Jugendämtern in der StädteRegion und von pädagogischen Fachkräften der Jugendämter in Polizeidienststellen haben inzwischen flächendeckend stattgefunden und werden im Herbst 2024 abgeschlossen sein. Sie sind besonders wertvoll, um das Verständnis für die Verfahrensweisen und Rahmenbedingungen der jeweils anderen Behörde zu vertiefen und die Zusammenarbeit reibungsloser und effektiver zu gestalten.

 

Rechtslage

Im Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe festgelegt. Das SGB VIII verpflichtet im § 8a die Jugendämter, ihren besonderen Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung wahrzunehmen und das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) erlaubt bei einer Gefährdung des Kindeswohls ausdrücklich die Zusammenarbeit verschiedener Akteure.

 

Im Jugendgerichtsgesetz (JGG) sind erzieherische Maßnahmen und Jugendstrafmaßnahmen geregelt.

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Im Auftrag:

gez.: Terodde

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