Beschlussvorlage - 2024/0059

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Der Städteregionstag beauftragt die Verwaltung, zusammen mit den anderen Jugendämtern in der Städteregion Aachen die erforderlichen praktischen und rechtlichen Schritte zur Gründung einer gemeinsamen kommunalen stationären Einrichtung der Jugendhilfe in die Wege zu leiten.

 

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Sachlage

Die Jugendamtsleitungen aller Kommunen in der Städteregion hatten sich in ihrer Konferenz am 30.08.2023 zum wiederholten Male intensiv mit dem sich in schnellem Tempo weiter verschärfenden Problem des Mangels an Plätzen für stationäre Unterbringungen beschäftigt und beschlossen, wegen der Dringlichkeit sowohl ihre Behördenleitungen als auch die Jugendhilfeausschüsse zu informieren und um Unterstützung zu bitten. Die Information an die Behördenleitungen erfolgte mittels einer von allen Jugendamtsleitungen unterzeichneten Vorlage für die Konferenz der Hauptverwaltungsbeamt_innen der städteregionalen Kommunen am 13.11.2023. Die Jugendhilfeausschüsse der Kommunen wurden bzw. werden derzeit noch anschließend sukzessive informiert.

 

Aus der Berichterstattung der Jugendämter innerhalb ihrer jeweiligen Behörden, aus fachlichen Diskussionen und nicht zuletzt aus der Presse ist die prekäre Situation in der Jugendhilfe bekannt. Es fehlen überall pädagogische Fachkräfte, ob in den Heimen der freien Träger, in der Kindertagesbetreuung, bei den ambulanten Anbietern und auch immer wieder in den Jugendämtern selbst.

 

Die fehlenden Fachkräfte sind jedoch nicht der einzige Aspekt, der insbesondere der öffentlichen Jugendhilfe zu schaffen macht. In gravierender Weise nimmt der Mangel an Plätzen für stationäre Unterbringungen zu. Dies führt dazu, dass für Kinder und Jugendliche, die ad hoc aus kindeswohlgefährdenden Situationen herausgenommen und untergebracht werden müssen, keine Plätze für Sofortunterbringungen da sind. Auch für dauerhaft unterzubringende Kinder/ Jugendliche muss inzwischen bundesweit nach geeigneten Heimen oder Projektstellen gesucht werden, oft mit bis zu hundert Anfragen pro Fall bei den verschiedensten Trägern. Schwer geschädigte Kinder und Jugendliche mit hohen Verhaltensauffälligkeiten, multiplen Störungen des Sozialverhaltens, Gewalttätigkeit usw. („Systemsprenger“) können nicht oder nur zu exorbitant hohen Kosten untergebracht werden. Aber auch für minder schwere Fälle finden die Jugendämter immer seltener Plätze.

 

Einhergehend hiermit sind auch die Unterbringungskosten für die Jugendämter nicht mehr wirklich steuerbar; mangelndes Angebot und große Nachfrage verbunden mit einem extrem hohen Handlungsdruck für die öffentlichen Jugendhilfeträger verhindern hier sowohl einen qualitativen als auch einen wirtschaftlichen Wettbewerb.

 

Der akute Platzmangel hat eine schleichende Einführung von „Ausweichsystemen“ zur Folge, mit denen die Jugendämter sich selbst zu helfen versuchen:

 

  • Jugendliche werden immer häufiger in von den Jugendämtern angemieteten Hotelzimmern untergebracht und nur im nötigsten Umfang ambulant begleitet. Ein intensives pädagogisches Einwirken auf die jungen Menschen mit dem Ziel von (im weitesten Sinne) Integration in die Gesellschaft mit all ihren Regeln und Anforderungen gelingt unter diesen Voraussetzungen nur dann, wenn die/der Jugendliche über genügend Resilienz und Ressourcen verfügt, um sich auch selbst helfen zu können. Dies ist jedoch leider allzu selten gegeben.

 

  • Fehlende Plätze für Sofortunterbringungen, z. B. nach Inobhutnahmen, haben in mehreren städteregionalen Jugendämtern bereits dazu geführt, dass Kinder stundenlang im Jugendamt auf dem Flur sitzen und warten mussten, bis für sie eine Einrichtung/ eine Bereitschaftspflegefamilie gefunden wurde. In den Fällen, in denen dies nicht gelang, sind sozialpädagogische Fachkräfte mit Kindern in ein Burger-Restaurant gegangen, um längere Zeiten zu überbrücken. Andere Kinder wurden von den Fachkräften über Nacht im Büro betreut oder sogar über Nacht mit nach Hause genommen, weil es schlicht keine andere Lösung gab.

 

Insbesondere die zuletzt geschilderten Situationen setzen nicht nur die betroffenen Kinder, sondern auch die Fachkräfte der Jugendämter großem Stress aus. Sie haben dazu geführt, dass sich einige Fachkräfte weigern, für den rotierenden Bereitschaftsdienst abends und am Wochenende eingeteilt zu werden, aus Angst, im Falle einer Inobhutnahme mit der Unterbringung eines Kindes zu scheitern und dann mit der direkten persönlichen Verantwortung für das Kind allein da zu stehen.

 

Die weiterwachsende Gruppe der Flüchtlings-/ Zuwanderungsfamilien sorgt ebenfalls für einen Fallanstieg und intensive Inanspruchnahme der Allgemeinen Sozialen Dienste der Jugendämter, da viele der Familien einen hohen Hilfebedarf haben. Auch hier führt der Mangel an Unterbringungsplätzen in Verbindung mit teilweise sehr unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen von Erziehung dazu, dass die hiesigen Standards bezüglich Kindesschutz nicht wie eigentlich fachlich geboten angewendet werden können.

 

Ein weiteres drängendes Problem ist die schwerfällige bis mangelhafte Übergabemöglichkeit von Fällen geistig und/oder körperbehinderter junger Menschen an den für die stationäre Eingliederungshilfe nach SGB XII zuständigen Landschaftsverband Rheinland. Da die Jugendhilfe auch in diesen Fällen gemäß
§ 10 SGB VIII immer noch nachrangig zuständig bleibt, muss eine in Krisensituationen erforderliche Unterbringung extrem betreuungsintensiver junger Menschen von den Fachkräften der Jugendämter geleistet werden – mit in diesen Fällen noch höherem Schwierigkeitsgrad und noch geringerer Erfolgsaussicht. Dies führt dazu, dass alternative Hilfeformen mit teils fraglichem fachlichem Standard gewählt werden müssen, die zudem entsprechend kostenintensiv sind (z. B. Wohnkosten + 24 Std. 1:1-Betreuung + Security-Dienst wegen potenzieller Eigen- und Fremdgefährdung = rd. 30.000 €/ Monat). Von Seiten des LVR gibt es oft nur die Angabe, dass man dort trotz eindeutiger sachlicher Zuständigkeit selber zeitnah keine Kapazitäten für die Fallübernahme und darüber hinaus auch keinen geeigneten Heimplatz habe.

 

Das mit Bericht des MKJFGFI NRW vom 25.09.2023 zum Thema „Informationen und Maßnahmen zur Personal- und Platzsituation in der stationären Jugendhilfe“ übersandte Papier der beiden Landschaftsverbände zum Maßnahmenpaket „Aufsichtsrechtliche Grundlagen – Fachkräftemangel“ stellt nur einen Tropfen auf dem heißen Stein dar und löst keinesfalls die akuten Probleme der öffentlichen Träger der Jugendhilfe. Die Zulassung weiterer beruflicher Qualifikationen für die Tätigkeit in (teil-) stationären Einrichtungen ist zu begrüßen, sorgt aber nicht automatisch für mehr Plätze.

 

Die Jugendämter in der Städteregion (und nicht nur hier) sind an der Grenze des Leistbaren angekommen bzw. befinden sich bereits jenseits dieser Grenze. Die Fachkräfte engagieren sich hochmotiviert und sehr verantwortungsbewusst, können aber fachliche Standards teilweise nicht mehr einhalten und geraten in Gefahr, sich rechtlich in einer Grauzone zu bewegen. Die Kosten der Jugendhilfe sind kaum noch steuerbar und machen einen immer größer werdenden Teil der kommunalen Haushalte aus. Gleichzeitig schafft der Gesetzgeber neue Rechtsansprüche (z. B. ganztägiger OGS-Betreuungsanspruch ab 2026) und weitet vorhandene Ansprüche durch Reformen des SGB VIII aus. Neue Ansprüche, um eine noch bessere Beratung, Unterstützung und Versorgung von Eltern und jungen Menschen zu erreichen, mögen fachlich überwiegend nachvollziehbar und sinnvoll sein – sie sind faktisch aber unter den gegenwärtigen personellen und finanziellen Bedingungen in den Jugendämtern und Kommunen nicht umsetzbar. Es droht ein Kollaps des Systems der Jugendhilfe mit nicht absehbaren Folgen.

 

Die Jugendämter in der Städteregion wollen dieser Entwicklung mit den ihnen möglichen Mitteln gegensteuern und haben die Hauptverwaltungsbeamt_innen daher um Zustimmung zu dem Vorschlag gebeten, zur Verbesserung der Unterbringungssituation junger Menschen aus der Region eine gemeinsame stationäre Jugendhilfeeinrichtung auf dem Gebiet der Städteregion Aachen zu gründen und die hierfür erforderlichen Schritte zu unternehmen (Suche einer geeigneten Immobilie, Erstellung eines Konzepts, Klärung der Finanzierung, Erwirkung einer Betriebserlaubnis, Einstellung von Personal etc.).

 

Die Hauptverwaltungsbeamt_innen haben diesem Vorschlag am 13.11.2023 zugestimmt.

 

Im weiteren Austausch der Jugendämter untereinander stellte sich heraus, dass die Stadt Aachen aufgrund der innerhalb des Stadtgebietes bereits vorhandenen Einrichtungsdichte eher zurückhaltend agieren möchte. Die Jugendämter im Altkreis verfügen dagegen bisher über zwei stationäre Einrichtungen freier Träger (in Eschweiler und Stolberg) und sehen im Gebiet des Altkreises räumliches Potenzial. Es wird daher zunächst nur von einer Beteiligung der Jugendämter im Altkreis ausgegangen.

 

Rechtslage

Gem. § 6 Abs. 1 der Satzung für das Jugendamt der StädteRegion Aachen vom 12.11.2009 in der Fassung der 3. Änderungssatzung vom 18.06.2015 soll der Kinder- und Jugendhilfeausschuss vor jeder Beschlussfassung des Städteregionstages in Fragen der Jugendhilfe gehört werden

 

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit wird diese dem Städteregionsausschuss zur Vorberatung und dem Städteregionstag zur Entscheidung vorgelegt.

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Personelle Auswirkungen

Keine

 

Finanzielle/bilanzielle Auswirkungen

Die finanziellen/ bilanziellen Auswirkungen sind zurzeit noch nicht bezifferbar. Je nach Fortschritt der Planungen könnten entsprechende Mittel im Rahmen der Haushaltsplanung für das Jahr 2025 veranschlagt werden.

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Im Auftrag:

gez.: Terodde

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